Zehn Ideen für eine bessere Arbeitswelt auf der re:publica 2023

In diesem Jahr habe ich für die re:publica ein Panel geplant und eingereicht, das sich mit konkreten Lösungen beschäftigt, wie die Arbeitswelt durch Maßnahmen und Veränderungen in Unternehmen besser werden kann – Zehn Ideen für eine bessere Arbeitswelt.
Es war sehr schön, mit der Autorin Sara Weber (“Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?”), Nina Straßner (Global Head of People Initiatives bei SAP) und Lena Rogl (Diversity & Inclusion Lead Microsoft Germany) über konkrete Ideen und Maßnahmen zu sprechen.

Tatsächlich bin ich der festen Überzeugung, dass Innovationen zur Arbeitsgestaltung nicht primär politisch verordnet werden – genau wie die “Einführung der 40 Stunden-Woche” durch Henry Ford werden Unternehmen in ihren Branchen als Vordenker:innen neue Standards setzen, und andere Unternehmen werden nachziehen.
Bessere Arbeitsbedingungen sind kein Zufall, sondern vor allem eine Führungsentscheidung und ein klares Ja zur Innovation – und in den kommenden Jahren ein klarer Wettbewerbsvorteil, wenn es in allen Branchen zu wenig Arbeitskräfte gibt.

 

“Impostor syndrome is not your problem to solve!”

Reshma Saujani hat eine sehr gute Rede an die Absolvent:innen des Smith Colleges 2023 gehalten.
Die Rede geht mir seitdem nicht aus dem Kopf, weil sie genau den Finger darauf legt: Manche Themen sind nur dazu da, um uns von wichtigen, anderen Fragestellungen fernzuhalten.
Sehr viel gelernt, auch den Begriff “Bicycle Face”; und wie “Bicycle Face” und “Impostor Syndrome” vor allem “ausgedachte Probleme für Frauen” sind.
Eine sehr kluge Rede für alle Menschen, nicht nur frische Absolvent:innen.

 

Persönliche Impulse für transformative Arbeitskulturen: Meine Speakerin-Rolle bei Minds & Matches 🧠⚡️

Zitat von Sue Reindke: Wir haben jetzt die Chance, die Arbeitswelt der Zukunft komplett neu zu entwickeln – noch bevor der Mangel an Personal und die Klimakrise uns dazu zwingen. "By design or by desaster" –jetzt bleibt uns noch Zeit für klare Entscheidungen. Links daneben ist ein Portrait von Sue Reindke, sie schaut nach links und spricht.

Good News in eigener Sache: Ich bin nun offiziell Teil der Speaker:innen Agentur minds + matches, gegründet von Juliane Seyhan! Ab sofort stehe ich als Speakerin für Panels und Impulsvorträge zu den spannenden Themen Leadership, Zukunft der Arbeit, (Digitale) Transformation, Lernen, Vielfalt, Inklusion, Neurodivergenz, Künstliche Intelligenz und Remote Work zur Verfügung.

Es ist mir eine Ehre, mich einem so talentierten Team von Redner:innen anschließen zu dürfen, das sich leidenschaftlich für die Förderung dieser wichtigen Themen in der Arbeitswelt einsetzt. Mein Ziel ist es, mein Wissen und meine Erfahrungen zu teilen, um Menschen und Organisationen bei der Gestaltung einer zukunftsfähigen Arbeitskultur zu unterstützen.

Mir liegen insbesondere die Themen New Leadership, die Zukunft der Arbeit, Vielfalt, Inklusion und die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt am Herzen. Durch meine Vorträge möchte ich das Bewusstsein schärfen, neue Perspektiven eröffnen und Lösungsansätze für die aktuellen Herausforderungen der Arbeitswelt präsentieren.

Ich freue mich darauf, mit Unternehmen, Organisationen und Veranstaltern zusammenzuarbeiten, um meine Impulse und Erfahrungen bei Konferenzen, Tagungen und internen Veranstaltungen einzubringen. Gemeinsam können wir die Arbeitswelt transformieren und eine Zukunft gestalten, die von Zusammenarbeit, Innovation und Erfolg geprägt ist.

Falls Sie Interesse daran haben, mich als Speakerin für Ihr Event zu buchen oder weitere Informationen wünschen, freue ich mich über Ihre Nachricht.

 

New Work bedeutet auch: Pläne für den Katastrophenschutz entwickeln

„Wir müssen uns jetzt auf die Gegenwart vorbereiten: Headline 1 von zeit.de: Waldbrände: Wälder in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Hessen brennen“ „Headline 2 von zeit.de: Hitzewellen: Wir müssen uns so vorbereiten, als käme eine Flut auf die Stadt zu “Unternehmen sollten genau jetzt Katastrophenschutzpläne erstellen, um die Mitarbeitenden und das eigene Geschäftsmodell abzusichern.Das ist keine ferne Zukunft, sondern die Gegenwart, in der wir leben. “ Oben links ist ein kleines Bild von Sue Reindke. Daneben steht ihr Name, darunter „I’m here to change the future of work.“

Alle Unternehmen brauchen jetzt Pläne für den Katastrophenschutz 🔥

Waldbrände, große Hitzewellen, Dürre und Flutkatastrophen werden zu unserem Alltag gehören – und während es unsere wichtigste Aufgabe ist, die Klimakrise noch abzuschwächen, leben wir schon mittendrin. (Siehe die aktuellen News-Überschriften von zeit.de oben)

Wenn wir eins aus der Pandemie gelernt haben, dann das: Auf die nächsten Katastrophen müssen und können wir uns besser vorbereiten.

Führungskräfte in Unternehmen sollten alle wichtigen Punkte durch denken:

– Welche kritische Infrastruktur kann durch welche Katastrophen getroffen werden?
Wie kann der (Not-) Betrieb aufrecht erhalten werden? An welchen Stellen und in welchen Gebieten sind wir besonders gefährdet?

– Kann der Betrieb jederzeit wieder in einen „Lockdown“ gehen, wenn z.B. Menschen wegen schweren Waldbränden in der Region ihre Häuser nicht verlassen können?
Gibt es ausreichend Atemschutz- und Gasmasken für die Menschen, die den Notbetrieb aufrechterhalten?

– Welche Maßnahmen werden für den Schutz der Mitarbeitenden getroffen? (Hitzeschutz, Atemschutz, Evakuierungspläne..?)

– Können wir in den Firmen-Standorten und Büros ein Kontingent an Notunterkünften vorbereiten? (Für Mitarbeitende oder Schutzsuchende anderer Krisen)

– Gibt es ausgearbeitete Katastrophenschutzpläne und Katastrophenschutz-Beauftragte?
Gibt es Aufklärung der Mitarbeitenden und Übungen für den Ernstfall?

Ansonsten wird es Zeit, all diese unangenehmen Fragen zu beantworten und alles durchzudenken.
Wer sich auf die Auswirkungen der Klimakatastrophe nicht vorbereitet, handelt fahrlässig.
Das ist keine ferne Zukunft, sondern schon die Gegenwart, in der wir leben.

Working: What we do all day

Was macht eine “gute Arbeit” für verschiedene Menschen aus?

Dieser Frage geht die kurze Dokuserie “Working” mit Barack Obama auf Netflix nach. In drei Branchen bzw. drei Unternehmen – einem Luxushotel, einem häuslichen Pflegedienst, und einem StartUp für selbstfahrende Autos sieht man Menschen in vier Ebenen: Die unterste Ebene kann kaum von ihrem Einkommen leben, dann die Mittelklasse, das mittlere Management und die CEO-Ebene.

Das ist teilweise sehr amerikanisch, der “American Dream” vom Eigenheim und Auto-Städte, die man weder zu Fuß noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln navigieren kann.
Spannend finde ich, dass die Frage nach dem “Purpose” erst in den oberen Schichten überhaupt auftaucht, als sei das ein Luxusproblem, das die Menschen, die sehr hart für wenig Geld arbeiten, gar nicht haben (müssen).
Das ist zweischneidig: Einerseits schwingt mit, dass Menschen, die kaum von ihrer Arbeit leben, gar keinen “Purpose” haben können – oft wird auch impliziert, dass die Arbeit an sich keinen Spaß machen kann oder wenigstens Zufriedenheit bringt. (“Hilft ja nichts, muss ja.”) Nachgefragt wird meist nicht.

Und dann anders herum: Ist der “Purpose” und die Frage nach dem Sinn etwas, das Menschen sich stellen (müssen), wenn die Arbeit an sich nicht mehr “schwer genug” ist, und vielleicht nichts von “schuften und hart arbeiten” hat? Oder ist das Geld die entscheidende Komponente, wenn es deutlich mehr ist als “für das Leben gebraucht wird”, beginnt ab da die Sinnsuche in der Arbeit?

Sehr spannend, das alles; und ich würde das sehr gerne auch in deutschen Unternehmen mal genau in diesen vier Ebenen sehen.

Zehn Ideen für eine bessere Arbeitswelt auf der re:publica 2023

“Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?” – mit diesem Buchtitel hat die Autorin Sara Weber das Lebensgefühl unserer Zeit eingefangen.
Zwischen Pandemie, Klimakrise und Fachkräftemangel knirscht es in der Arbeitswelt, und die Belastung von Arbeitnehmer:innen und Führungskräften ist hoch.
Wir können und wollen gar nicht so weitermachen wie bisher – aber wie kann es anders gehen? Wie können wir Care-Arbeit als die Grundlage jeder Arbeit mitdenken? Wie können wir mehr Vereinbarkeit zwischen Lohn- und Care Arbeit erreichen? Wie kommen wir zu mehr Diversität und gelungener Inklusion?
Was können Unternehmen für ihre Angestellten anbieten an konkreten Maßnahmen? Wie können Arbeitnehmer:innen und Selbstständige ihre eigenen Arbeitssituationen verbessern?

Darüber spreche ich im Panel “Zehn Ideen für eine bessere Arbeitswelt” am Mittwoch, den 07.06.23 um 11:15 Uhr auf der republica 2023 gemeinsam mit Teresa Bücker (Journalistin und Autorin des Buches “Alle Zeit”) und Sara Weber, sowie Nina Straßner (Global Head of People Initiatives bei SAP) und Magdalena Rogl (Diversity & Inclusion Lead, Microsoft Germany und Autorin des Buches „MitGefühl”).

Ich freue mich schon wahnsinnig darauf – und auch auf die Begegnungen auf der Konferenz selbst!
Feel free to say Hi! – gerne auch im Voraus per Mail, manchmal verpasst man sich dann ja doch in der Menschenmenge.

 

Once more, with feeling: Work in Progress

Im Jahr 2023 ist vieles noch immer im Fluss, und genau das spiegelt der Newsletter “Work In Progress” wider, der ab Ende dieser Woche wieder startet. Der Newsletter beschäftigt sich nicht nur mit Arbeit, sondern auch mit allem anderen, das mich gerade umtreibt. In diesem Jahr gibt es viel zu besprechen, denn alles ist im ständigen Wandel. Es war einfach noch nie so sichtbar wie jetzt – Kontrolle ist in den meisten Fällen eine Illusion, und wenn man das erstmal versteht, geht’s eigentlich.

Das Jahr 2021 zeigte uns bereits, dass alles im Werden ist – “The New Now”, das Ankommen in einem dauerhaften Zwischenzustand. Wir alle sind mittendrin mit unseren Plänen, Zielen und Wünschen, unseren alten und neuen Ideen, irgendwo zwischen “Trotzdem”, “Doch nicht” oder “Jetzt erst recht!”
Das Leben sortiert sich ständig neu, und alles wird stetig neu verhandelt. Dies betrifft menschliche Beziehungen, die Gestaltung dieser Beziehungen im Berufs- und Privatleben und wie wir miteinander in Verbindung bleiben, obwohl wir remote arbeiten und selten im gleichen Raum zusammen kommen.

“Work In Progress” hinterfragt, wie digitale Nähe entsteht und warum sie für menschliche Verbindungen so wichtig ist.
Was lernen wir in diesen Zeiten, und wie geben wir unser Wissen effizient aus der Ferne weiter? Was können wir noch planen, wenn alles unklar ist, oder sollten wir das Planen einfach sein lassen? Wie funktioniert Remote Leadership und wie kann eine Organisation eine gute Remote Work Culture entwickeln?

Es wird  eine bunte Mischung, once a week – a newsletter in progress.
Bei Interesse kann man sich hier zum Mitlesen anmelden.

The New Normal 2.0

Wir leben in aufregenden Zeiten – nach einem halben Jahr On-Off-Lockdown und zwei Winterwellen in Deutschland sind die Inzidenzen derzeit so niedrig, dass draußen alles Mögliche gelockert wird.
Während das für die Schulen zum Beispiel bedeutet, dass die einzig logische Schlussfolgerung „Zurück zum Regelunterricht in voller Klassenstärke” ist – haben viele andere Unternehmen und Branchen die seltene Gelegenheit, nicht zum alten Normalzustand zurückzukehren, sondern eine neue Normalität aktiv zu gestalten. Im New Work-Sprech wird das üblicherweise durchnummeriert, es ist also “Designing the New Normal 2.0”.
Dieser Zwischennormalzustand sollte zumindest bis zum Herbst gedacht werden – falls wieder eine Winterwelle kommt, wird dann der neue Winternormalzustand 2.0 etabliert und dann wird jedes Halbjahr die aktuelle Zwischennormalität gelauncht – One more thing.

Wie gestaltet man nun diesen neuen Normalzustand, wenn man eigentlich mit anderen Dingen beschäftigt ist und die Sehnsucht nach einfachen, schnellen Lösungen groß ist?
Ein paar Gedanken dazu.

Nur weil viele Dinge wieder erlaubt sind, heißt das nicht, dass sie getan werden müssen
Die zahlreichen Lockerungen erwecken den Eindruck, dass an einigen Stellen die Pandemie für beendet erklärt wurde. Distanzregeln werden aufgehoben, die Testpflicht fällt an einigen Stellen, die Außengastronomie ist offen, Arbeitgeberverbände fordern ein Ende der Homeofficepflicht. Dadurch entsteht ein gewisser Erwartungsdruck und vielleicht auch das Gefühl, an diesen Dingen teilnehmen zu müssen. Die gute Nachricht: Weder im Privat- noch im Berufsleben muss jetzt alles getan werden, nur weil es nicht mehr explizit verboten ist. Da längst nicht alle geimpft sind bzw. auch Impfen nicht vor Ansteckung und Weiterverbreitung schützt, ist es durchaus sinnvoll, bestimmte Schutzmaßnahmen weiter anzubieten, ohne es zu müssen.

Nicht alle Menschen sind im gleichen Maße bereit für Lockerungen
Menschen unterscheiden sich grundsätzlich in ihren Bedürfnissen, und selten wurde das so deutlich wie in dieser Pandemie. Bei Treffen im Büro und bei Veranstaltungen ist es daher sinnvoll, einen großen Handlungsspielraum anzubieten, der diesen unterschiedlichen Bedürfnissen ausreichend Raum gibt – und dennoch gemeinsame Zeit in Präsenz möglich macht. Eine niedrigschwellige Umsetzung sind zum Beispiel Armbänder in verschiedenen Farben, die unkompliziert zeigen, wieviel Nähe die Person aktuell angemessen findet.

Der neue Zwischennormalzustand lässt sich nicht Top-Down festlegen
Das ist aus vielen anderen Change-Prozessen bekannt: Veränderungen funktionieren nicht, wenn sie von oben angekündigt und durchgedrückt werden. Die nächste Phase der Zusammenarbeit sollte in Unternehmen gemeinsam entworfen und abgestimmt werden – je nach Unternehmensgröße bieten sich jetzt Workshops und Mitarbeiter:innenbefragungen an, um möglichst genau zu erfahren, was für die verschiedenen Personen jetzt wichtig ist und wie sich das in unterschiedlichen, flexiblen Arbeitsmodellen in eine gemeinsame Realität zusammenführen lässt. Wenn die Rückkehr ins Büro erzwungen wird, ohne überhaupt die Möglichkeit des hybriden Arbeitens zu erwähnen, kann es sein, dass das Büro aus anderen Gründen leer bleibt – weil die Mitarbeitenden sich kollektiv nach neuen Stellen umsehen.

In all dem liegt aber auch eins: Die Schönheit der Chance, gemeinsam eine neue Zwischennormalität zu entwerfen, die für alle Beteiligten besser ist als die alte.
Wann steht man schon mal an einem solchen Wendepunkt und hat die Gelegenheit, verschiedene Prozesse und Arbeitsabläufe neu aufzusetzen – ganz anders als alles, was „schon immer so gemacht wurde”.
Have you tried to turn your workplace off  – and on again? The time is now.

Wir brauchen das Büro doch mehr als gedacht.

Nach vielen Monaten im Home Office halte ich das immernoch für einen sehr guten Arbeitsort – nicht nur, weil es keine Glaswände gibt, oder weil man nicht im Großraum mit vielen anderen abgelenkt wird.
Mir fielen lange gar keine guten Gründe ein, wieso man überhaupt wieder in ein Büro zurückkehren sollte. Und dann war da doch etwas; nicht nur nach vielen Folgen der Serie Suits, die so viel im Büro spielte. Ich arbeite an Projekten mit Menschen, die ich noch nie getroffen habe – wir kennen uns nur per Telefon und Videokonferenzen. Technisch geht das einwandfrei, die Arbeit wird erledigt, aber etwas fehlt, und ich konnte lange nicht sagen, was eigentlich fehlt.

Wenn ich nur eine Sache benennen sollte, dann ist es Verbundenheit. Und die entstand früher im Büro eigentlich in all den Momenten, die nichts mit der Arbeit zu tun hatten. Beim gemeinsamen Mittagessen, bei Gesprächen in der Kaffeeküche, bei Weihnachtsfeiern und im Bierzelt (mit Kolleg:innen feuchtfröhlich auf Bierbänken stehen und singen: das wirkt wie eine Szene aus einem Film und nichts, was man selbst mal gemacht hat, aber es schaffte tatsächlich Nähe.)

Dass man die Kolleg:innen mochte, hatte einerseits mit dem Mere-Exposure-Effekt zu tun – wir bewerten Dinge positiver, mit denen wir häufig umgeben sind; es lag aber auch daran, dass man Menschen mit ihren ganzen Eigenheiten kennenlernte. Dass Kollegin D. vor dem ersten Kaffee nicht ansprechbar war und Kollege F. einen Hamster namens Klausi hatte, machte sie menschlicher. In Videokonferenzen lernt man sich auf diese Art und Weise einfach nicht kennen.
Dass man sich gut kannte und sich im Idealfall aufeinander verlassen konnte, wenn man mal Hilfe bei etwas brauchte – das zahlte sich nicht nur in Konfliktsituationen aus, es sorgte immer wieder für Austausch und brachte auch die Arbeit voran, weil ein gutes Team eben doch viel mehr zusammen erreicht als mehrere Einzelpersonen.

Es wird zur Zeit häufig darüber gesprochen, was in Schulen alles nachgeholt werden soll – für die Arbeitswelt gibt es dazu noch keinen richtigen Diskurs. Es steht die Frage im Raum, ob die Menschen überhaupt wieder in die Büros zurückkehren wollen, nachdem sie gemerkt haben, dass die Arbeit sich auch von zuhause sehr effektiv erledigen lässt und zwei Stunden Fahrtwege wegfallen.
Wenn Menschen also in die Büros zurückkehren sollten, dann nicht für die Arbeit selbst – sondern für alles andere.
Für den Zusammenhalt als Team. Für gemeinsam getrunkenen Kaffee, informellen Austausch, Gespräche über Haustiere und Hobbys.
Die Arbeitswelt braucht diese Verbundenheit mehr als bisher angenommen.

 

Der Neue Normalzustand braucht mehr Lebensqualität

Wenn ich mir nur eine kollektive Herausforderung dieser Zeit aussuchen darf – there are so many – dann ist es genau dieses Gefühl, dass das Leben aus dem Gleichgewicht gekommen ist. Wobei Leben ja relativ ist, wir können schließlich froh sein, wir sind am Leben, es geht uns vermutlich gut, wir könnten uns eigentlich nicht beklagen. Aber wir sind sehr erschöpft.
Das Leben besteht eigentlich nur noch aus Arbeit – Arbeitarbeit, Sorgearbeit, Hausarbeit – wieviel Haushalt man auf einmal hat, wenn man plötzlich viel wohnt und so viel da ist und Staub aufwirbelt und schon wieder eine Mahlzeit in der Home-Office-Kantine zubereitet. Und ja, ist doch schön, dass wir überhaupt im Home Office sein können, nicht alle haben diese Wahl, wer systemrelevant ist, muss sich ständig einem hohen Infektionsrisiko aussetzen, diese Menschen haben dann eben viel Außerhausarbeit und auch zu wenig Leben daneben.

Es fehlt uns allen die Perspektive – als ich neulich die blumigen, sehr komplizierten Lockerungspläne las, nach welchen Regeln gelockert werden sollte, wenn wir jemals unter die Inzidenz 35 kommen, habe ich kein Wort verstanden.  Und dann sah ich, dass wir den Kipp-Punkt bei der 60er-Inzidenz machen und es jetzt eh wieder hochgeht, in die dritte Welle. Wahrscheinlich kann man komplizierte Lockerungen versprechen, so viel man will – wenn wir da eh nicht hinkommen, ist es sowieso egal. Ein Konzept ohne konkreten Bezug zur Realität bleibt einfach ein bedrucktes Stück Papier. Vielleicht ist das schon der Wahlkampf in diesem Superwahljahr, jede*r darf etwas vorschlagen und nichts muss eingelöst werden.

Die Menschen sind erschöpft, deswegen soll jetzt losgelöst von den Inzidenzen einfach so munter gelockert werden, und daran sieht man, dass wir aus den ersten beiden Wellen nichts gelernt haben, denn dann sitzen wir einfach nur noch länger im Lockdown. Es ist schmerzhaft, dabei zuzusehen, wie wir uns nicht mal trauen, die NoCovid-Strategie aus anderen Ländern ernsthaft zu diskutieren und es mal zu probieren. (Der Australier Stephen Duckett, der die NoCovid-Strategie dort mit entwickelt hat, sagt: Fangt einfach an!)

In der Zwischenzeit machen wir mit allem so weiter wie bisher, es gibt ja keine Alternative. Wir sind gut im Weitermachen, wir halten durch. Manchmal werden kurz Karotten hochgehalten – „mehr Urlaubstage für Eltern”, dann ist die Karotte weg, wir können eh nirgends hin, wir brauchen keinen „Urlaub”, wenn wir dabei Homeschoolingarbeit und Hausarbeit und sowieso alles machen, nur drei Videokonferenzen und vierzig Emails weniger.

Die eigentliche Frage ist also: Wie können wir wieder mehr leben – wenn fast alles, was uns bisher Kraft gegeben hat und mit anderen Menschen und Aktivitäten zu tun hat, weiter nicht erlaubt ist und die Infektionen zu schnell hochtreiben würde?
Was einigen von uns am meisten fehlt, sind Begegnungen, Nähe, Kontakte miteinander, und auch das Wegkommen von unserem Alltag und den Orten, an denen wir ständig sind. Wir brauchen einander mehr, als wir uns jemals zuvor gebraucht haben.

Wir brauchen neue Konzepte zur Erholung in diesem Neuen Normalzustand – jemand sagte neulich den wahren Satz: „Manchmal muss man sich auch erst einmal regenerieren, bevor man sich erholen kann.” Wir brauchen eine Debatte um Erholung für alle und eine Pausenkultur – und zwar nicht erst für die Zeit „nach Corona, wenn wir wieder unser altes Leben führen können”, sondern genau jetzt, wenn das zweite Jahr der Pandemie beginnt und wir die Langstrecke noch weiter vor uns haben. Kein Satz hat mich so gestört wie das stetige „Bleiben Sie gesund!” in E-Mails, das war nett gemeint, aber der Imperativ hatte einen unangenehmen Nachgeschmack. Und deswegen kommen wir mit einem „Erhol dich endlich am Wochenende!” auch nicht weiter.

Wir brauchen eine breite Debatte darüber – in Politik, Gesellschaft, in den Sozialen Netzwerken, wir brauchen Unternehmen, Universitäten und verschiedene Organisationen, die mit Lösungen und Ideen um die Ecken kommen. Wir brauchen verschiedene, auch marginalisierte Stimmen, die nie gefragt werden und sowieso seit Jahren in den Diskursen vergessen werden. Wir brauchen nicht nur eine Lösung, sondern einen bunten Strauß an Maßnahmen, die jede*n mit einschließen und die verschiedenen Lebenssituationen mitdenken. Vielleicht würde den einen ein Bedingungsloses Grundeinkommen helfen – wann, wenn nicht jetzt, fragt Marcel Fratzscher bei zeit.de, anderen würde vielleicht eine Elternzeit mehr helfen, und wieder andere brauchen ganz andere Lösungen.

Jugendliche, Kinder, Menschen die allein leben; Menschen die andere Menschen pflegen, sie alle brauchen verschiedene Angebote, so dass sich jede*r wie aus einem Baukasten selbst etwas aussuchen kann. Jede*r braucht doch gerade was ganz anderes – nur brauchen wir alle ganz dringend etwas, das wir gerade nicht haben. Wirtschaftshilfen waren schön und wichtig – jetzt braucht es ein wenig Lebenshilfe, für uns alle.
Wir sollten nicht warten, bis wir alle so chronisch erschöpft sind, dass es wirklich nicht mehr geht – aus diesem Zustand herauszukommen, dauert ewig und manchen gelingt es nie.
Der Neue Normalzustand 2021 braucht mehr Lebensqualität für alle – und wie das aussehen kann, das sollten wir jetzt zusammen neu denken.